Die Sonne strahlt aus den fast schwarzen Regenwolken und wirft helles Licht auf das Mahnmal im hinteren Teil der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Theo legt einen kleinen, beschrifteten Stein an der deutschsprachigen Gedenktafel nieder: "Gegen das Vergessen".
Zuvor hatte es während der Führung durch das Stammlager und auf dem weitläufigen Gelände von Birkenau immer wieder, teilweise heftig geregnet. Nun kommen alle 170 Teilnehmende an der Gedenkstättenfahrt der weiterführenden Schulen Grevenbroichs 2024 in einem Kreis zusammen und halten gemeinsam inne. In der anschließenden Schweigeminute gedenken sie den 204 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern Grevenbroichs, die fast ausnahmslos im Holocaust ermordet wurden. Die jüngste von ihnen, Recha Katz war, als sie in Auschwitz in die Gaskammer gehen musste, gerade einmal zwei Jahre alt.
Seit 2016 machen sie Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern und Großeltern jedes Jahr zu Beginn der Osterferien freiwillig in und ihrer Freizeit auf den Weg in die Gedenkstätte im heutigen Polen. Zunächst gemeinsam mit dem Erasmus-Gymnasium, organisiert Geschichtslehrer Sebastian Potschka an der Diedrich-Uhlhorn-Realschule seit einigen Jahren die Fahrt gemeinsam für alle weiterführenden Schulen in Grevenbroich. In diesem Jahr gab es mit 170 Teilnehmenden einen neuen Anmelderekord. Inhaltlich wird die Gedenkstättenfahrt durch den Geschichtsverein Grevenbroich mit seinem Vorsitzenden Ulrich Herlitz sowie finanziell großzügig durch die Landesregierung Nordrhein-Westfalen untertstützt.
"Es ist Haurausforderung, aber vielmehr noch ein kraftvolles Symbol von gelebter Vielfalt und Gemeinschaft, dass sich 170 junge Menschen gemeinsam mit ihren Lehrkräften und einigen Eltern, völlig unabhängig von ihrer Bildungslaufbahn, ihrem sozialen Status, ihrem Geschlecht, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung freiwillig jährlich auf den Weg machen und sich gegen das Vergessen einsetzen."
Die Gedenkstätte mit ihrem einzigartigen Erhaltungsgrad, mit ihren bis zu 20.000 Besuchenden am Tag, mit ihren abertausenden, stummen Beweisen des Massenmordes - Schuhe, Brillen, Geschirr, Koffer, Haare, Bilder - verfehlt ihre Wirkung auch bei einer Generation, deren Aufmerksamkeitsspanne sich bemerkbar am Rahmen von TikTok and Youtube-Shorts orientiert, während der fünfstündigen Führung nicht. Ramazan fragt Stunden nach dem Besuch der Gedenkstätte: "Ich kann es immer noch nicht verstehen! Wie kann man Leute so hassen, dass man ein Kind aus Grevenbroich nach Auschwitz bringt, um es da zu töten?"
Die Frage wirkt nach und bleibt dennoch offen. Potschka beendet die Reflexion mit der Feststellung: "Vergesst nicht: Ihr seid heute Augenzeugen geworden!"